Research Article |
Corresponding author: Ulf Kempe ( kempe@mineral.tu-freiberg.de ) Academic editor: Jan-Michael Lange
© 2024 Ulf Kempe.
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Citation:
Kempe U (2024) „… mit rothen als gleichsam Bludtstropfen durchsprenget“: Über die historische Verwendung einer seltenen Sorte von „sächsischem Marmor“. Geologica Saxonica – Journal of Central European Geology 70: 1-14. https://doi.org/10.3897/gs.70.e125004
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Die von dem sächsischen Hofjuwelier Johann Heinrich Köhler Anfang des 18. Jahrhunderts geschaffene Perlfigur eines „Schwedischen Grenadiers“ (Dresden, Grünes Gewölbe, Inv.-Nr. VI 103) steht auf einer rotgefleckten Kalksteinplatte, laut historischem Inventar bestehend aus einem „sächsischen Marmor“. Für diesen ungewöhnlich gemusterten Kalkstein lässt sich eine Herkunft aus den historischen Brüchen bei Wildenfels in Westsachsen nachweisen. Der seltene Dekorstein wurde im 18. Jahrhundert in sakralen Kontexten wie am katholischen Hohen Altar im Bautzener Dom, in der Kapelle von Schloss Hubertusburg und an der ehemals in der Schlosskirche Prettin befindlichen sogenannten Schwesterngruft im Freiberger Dom verwendet. Zwei Belege von solchem „Marmor“ haben sich in den geowissenschaftlichen Sammlungen der TU Bergakademie Freiberg und den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden erhalten. Der nach historischen Quellen „wie mit Blut gefleckte“ Kalkstein wurde offensichtlich gezielt in der kirchlichen Innenarchitektur eingesetzt, um eine religiöse Botschaft zu transportieren. Bei der Figur des „Schwedischen Grenadiers“ im Grünen Gewölbe wird diese durch die Verwendung zimtbrauner Hessonite und grüner Smaragde noch zusätzlich unterstrichen.
A pearl figurine of a Swedish infantryman in the Grünes Gewölbe in Dresden (inventory number VI 103), made by the court jeweller Johan Heinrich Köhler at the beginning of the 18th Century, is standing on a polished plate of greyish limestone with red patches. According to historical inventories, the material is a “Saxonian marble”. For this material with its unusual colouration patterns, an origin from the historical quarries near Wildenfels in Western Saxony could be traced. The rare decorative stone was used in church interiors as at the catholic high altar in the cathedral in Bautzen, the chapel in Hubertusburg castle and at the so-called “sister crypt” in the Freiberg cathedral, originally located in the castle church Prettin. Two polished samples of the limestone are preserved in the collections of the TU Bergakademie Freiberg and the Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden, respectively. According to historical sources, the stone appears as “stained with blood”. Obviously, it was chosen to send a massage in the religious contexts. In the case of the Swedish infantryman from the Grünes Gewölbe, the massage is reinforced by the addition of coloured gemstones-cinnamon-brown hessonite and green emerald.
Bautzen, Fossati, Ikonologie, Kalkstein, Köhler, Sachsen, Wildenfels
Bautzen, Fossati, iconology, limestone, Köhler, Saxony, Wildenfels
Einer der bedeutendsten Goldschmiede des sächsischen Barocks Anfang des 18. Jahrhunderts in Dresden war der aus Bad Langensalza stammende Hofgoldschmied Johann Heinrich Köhler. Besonders hervorzuheben ist der große Anteil, den Köhler an der Ausstattung der auf Weisung von August dem Starken (1670–1733) ab 1723 innerhalb weniger Jahre etablierten neuen „Geheimen Verwahrung“ hatte, die später weithin unter dem Namen „Grünes Gewölbe“ bekannt wurde. Seine Arbeiten umfassten neben neu geschaffenen Pretiosen die umfangreiche Restaurierung zahlreicher älterer Kunstkammerobjekte. Häufig wurden auch Teile schadhafter überkommener Werke phantasievoll und mit Ergänzungen zu neuen Objekten zusammengefügt. Die wichtige Rolle Köhlers in der sächsischen Kunstgeschichte des frühen 18. Jahrhunderts wurde erst vor kurzem mit einer Sonderausstellung und einem Begleitkatalog ausführlicher gewürdigt (
Um 1700 waren in den höfischen Sammlungen sogenannte Perlfiguren in Mode, bei denen unter Verwendung großer, unregelmäßig geformter „monströser“ natürlicher Perlen die verschiedensten Kleinfiguren geschaffen wurden. Manchmal einzeln, manchmal als Paare gefertigt, trugen sie häufig karikative, mitunter bis ins Groteske gehende Züge. Auch von Johann Heinrich Köhler haben sich einige solcher kleinformatiger Werke erhalten. Der invalide „Schwedische Grenadier“ (Inv.-Nr. VI 103) ist dem ernsten Thema des Nordischen Krieges von 1700 bis 1721 gewidmet (Abb.
Die Perlfigur des „Schwedischen Grenadiers“, gefertigt von Johann Heinrich Köhler Anfang des 18. Jahrhunderts, steht auf einer Platte von rotgeflecktem „Marmor“ (Grünes Gewölbe Dresden, Inv.-Nr. VI 103). Die vergoldete Silberfassung ist mit kleinen Diamanten und vier großen Steinen (zwei Hessoniten und zwei Smaragden) besetzt. Acht ursprünglich vorhandene kleine Rubine sind heute verloren (Foto: Ulf Kempe).
Figure 1. Pearl figurine of a “Swedisch infantryman” made by Johann Heinrich Köhler at the beginning of the 18th Century. The man is standing on a plate made of “marble” with red patches (Grünes Gewölbe Dresden, inventory number VI 103). The plate is set with small diamonds and four lager stones (two hessonites and two emeralds, respectively). Eight small rubies set in gilded silver are lost (Photo: Ulf Kempe).
Oben: Die zimtbraunen Steine an der Standplatte des „Schwedischen Grenadiers“ können auch anhand der zahlreichen Apatiteinschlüsse als Hessonite aus den Seifenlagerstätten Sri Lankas identifiziert werden. Bis an die Wende zum 19. Jahrhundert wurden Hessonite in der europäischen Literatur als „Hyacinthe“ bezeichnet. In der Edelsteinkunde wurde diese Bezeichnung noch beibehalten, als „Hyacinth“ längst eine gebräuchliche Benennung für die ähnlich gefärbten Zirkone geworden war. Unten: Die beiden Smaragde stammen mit großer Wahrscheinlichkeit aus kolumbianischen Lagerstätten (Fotos: Ulf Kempe).
Figure 2. Cinnamon-brown stones set at the basal plate of the “Swedish infantryman” may be identified as hessonites from secondary deposits in Sri Lanka by their frequent inclusions of apatite (top). Until the beginning of the 19th Century, hessonite was named “hyacinth” in European sources. This designation was kept in gemology long after “hyacinth” became the common name for a similarly colored zircon variety. Both emeralds (bottom) are most probably from Columbian deposits (Photos: Ulf Kempe).
Im Inventar von 1725 wird die Perlfigur wie folgt beschrieben: „Ein Schwedischer blessierter Granatier von blau emailliertem Gold, die Müze, Brust, Tornister, rechte Hand und rechte Bein von Perlen, das Postement von grünen und roth eingespregten Sächßi. Marmor, in vergoldt Silber gefaßt, mit zweyen Smaragden, zweyen Hyacinthen, acht kleinen Rubingen und kleinen Diamantgen garnirt. Ebenfalls von Köhlern.“
Als „Marmore“ wurden noch im 18. Jahrhundert alle polierfähigen Steine bezeichnet, unter die auch sämtliche verwertbare Kalksteine fielen. Im sächsischen Raum wurden in dieser Zeit Kalksteine als Werkstein insbesondere bei Wildenfels in Westsachsen und Maxen im Osterzgebirge sowie Marmor nahe Crottendorf im mittleren Erzgebirge gebrochen. Die vorher schon durch das Kalkbrennen bekannten Vorkommen von Wildenfels und Crottendorf waren bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts vor allem durch die Bemühungen von Giovanni Maria Nosseni (1544–1620) als Dekorsteine erschlossen worden (
Die Standplatte des „Schwedischen Grenadiers“ erweist sich als heller Kalkstein mit unregelmäßigen roten Flecken und Trümern von grünlichem Serizit (Foto: Ulf Kempe).
Figure 3. The basal plate under the “Swedish infantrymen” appears as a pale limestone with irregular red patches and veinlets of greenish sericite (Photo: Ulf Kempe).
„Sächsischer Marmor“ wurde vom 16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts besonderes für die Gestaltung von Innenräumen in Schlössern und Kirchen landesweit genutzt. Zahlreiche Altäre wie den Altar der Sophienkirche in Dresden von Nosseni (1606/07, jetzt in der Loschwitzer Kirche aufgestellt), den Kirchenaltar der Schlosskirche Lockwitz (inschriftlich 1677 datiert) oder den katholischen Hochaltar im Bautzener Dom (1702–1703/1722–1725) schmücken Kalksteine und Marmore aus Sachsen. Zudem fanden diese Sorten neben italienischem Marmor breite Verwendung in der Innenausstattung der katholischen Hofkirche in Dresden (1739–1754). „Sächsische Marmore“ wurden auch beim Bau der Schlosskapelle Moritzburg (1661–1672) sowie bei deren Umgestaltung 1723–1728, in den Raumausstattungen des Schlosses selbst oder in den historischen Grablegen der Wettiner im Chor des Freiberger Doms (1589–1694) sowie im klassizistisch neugestalteten Mausoleum auf dem Klostergelände Altzella bei Nossen (1787–1804) genutzt. Weitere Beispiele finden sich in Schloss Pillnitz und natürlich im Dresdner Stadtschloss, wo sich der „Marmor“ teilweise bis heute in den Räumen des Historischen Grünen Gewölbes erhalten hat.
Bei der Begutachtung dieser Baudenkmäler unter dem Aspekt der verwendeten Kalkstein- und Marmorsorten zeigt sich, dass am katholischen Hochaltar des Bautzener Domes eine Kalksteinplatte mit derselben Farbigkeit und Musterung wie die der Standplatte unter der Figur des „Schwedischen Grenadiers“ gut sichtbar angebracht wurde (Abb.
An der Außenseite der Altarschranken des katholischen Hohen Altars im Bautzener Dom ist eine einzelne Platte aus demselben rot gefleckten Kalkstein mit grünlichen Serizitbändern angebracht, wie unter dem „Schwedischen Grenadier“ von Köhler (Foto: Ulf Kempe).
Figure 4. On the right side of the balustrade marking the border of the sanctuary around the high altar in the Bautzen cathedral, there is a single plate made of the same limestone with red patches and greenish sericite veinlets as the basal plate under the “Swedish infantryman” by Köhler (Photo: Ulf Kempe).
Der Bautzener Dom St. Petri ist die älteste Simultankirche Deutschlands. Er wird seit der Reformation ab 1524 mit kurzen Unterbrechungen bis heute sowohl für evangelische als auch katholische Gottesdienste genutzt. Nach der Konvertierung August des Starken zum Katholizismus im Jahre 1697 und der dadurch möglich gewordenen Erlangung der polnischen Königskrone kam dem Bautzener Domkapitel und der Kirche eine besondere landespolitische Bedeutung zu. Nach der Auflösung des Bistums Meißen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war das Bautzener Domstift als direkt dem Papst unterstellte Einrichtung die höchste auf sächsischem Boden verbliebene katholische Institution. Sowohl der Dresdner Hof als auch der Domdekan waren schon wegen des Fehlens anderer repräsentativer katholischer Kirchenbauten an einer Aufwertung des Doms in Bautzen interessiert. Die Errichtung des mächtigen neuen Hochaltars im katholischen Chor als bedeutendstes Bauvorhaben zog sich über mehrere Jahrzehnte hin. Zunächst wurde der Raum vor dem Altar unter Dekan Matthäus Joseph Ignatz Vitzk (1660–1713, Dekan ab 1700) 1702–1703 neu gestaltet, bevor 1722–1725 auf Betreiben seines Nachfolgers Johann Joseph Ignaz Freyschlag von Schmiedenthal (1669–1743, Dekan ab 1721) auch der reich ausgestattete barocke Altaraufbau geschaffen wurde. Das prachtvolle Werk dominiert bis heute den östlichen Teil des Kirchenraums. Der Blick des Betrachters fällt zunächst auf das große, nach seiner während der neugotischen Umgestaltung des Domes erfolgten Entfernung im 19. Jahrhundert heute wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückgekehrte Bild des bedeutenden italienischen Barockmalers Giovanni Antonio Pellegrini (1675–1741) mit der „Schlüsselübergabe an Petrus“ (Abb.
Bautzener Dom, Gesamtansicht des Hohen Altars (Architektur und Marmorarbeiten Giovanni Maria Fossati; Sandsteinskulpturen Benjamin Thomae; Altargemälde Giovanni Antonio Pellegrini). Im Vordergrund das mit schwarzem Kalkstein und weißem Marmor schachbrettartig ausgelegte Presbyterium mit dem nach 1743 unter Dekan Wosky von Bärenstamm (1692–1771) umgestalteten Altartisch (Foto: Ulf Kempe).
Figure 5. Bautzen cathedral, general view of the high altar (architecture and stonemasonry by Giovanni Maria Fossati; sandstone sculptures by Benjamin Thomae; altar paintings by Giovanni Antonio Pellegrini). In the foreground the tessellate paving of the sanctuary with black limestone and white marble and the altar table reconstructed after 1743 under the direction by superintendent Wosky von Bärenstamm (1692–1771; photo: Ulf Kempe).
Trotz der ungewöhnlich guten Aktenlage finden sich bis heute differierende Angaben zur Entstehung des Altars in der Literatur. Cornelius Gurlitt gibt einen Zeitraum von 1722 bis 1724 an, während in neuster Zeit meist eine Erschaffung zwischen 1722 und 1725 angenommen wird (
Für die Planung und Ausführung sowohl der Neugestaltung des Presbyteriums, des Raumes vor dem Altar, in den Jahren 1702 und 1703, als auch des eigentlichen Altars von 1722 bis 1725, zeichnete der in Dresden tätige Giovanni Maria Fossati verantwortlich (
Das Geburtsjahr von Fossati ist nicht überliefert. Die Jahreszahl 1704 im Schweizer Lexikon ist offensichtlich fehlerhaft. Ursula Stevens vermutet eine Geburt um 1690 (
In der Literatur wird vermutet, dass Giovanni Maria Fossati auch am Umbau des Schlosses Hubertusburg beteiligt war und um 1750 in Wermsdorf gestorben ist (
Nachdem der Kurfürst am 23. März angeordnet hatte, das benötigte Steinmaterial dem Bautzener Domstift kostenlos zur Verfügung zu stellen, schloss der Domdekan im Mai 1702 mit Fossati einen Vertrag. Entsprechend den Bestimmungen sollte Giovanni (Johann) Maria den Boden vor dem Altar schachbrettartig mit schwarzen und weißen Marmorplatten neu auslegen und zum Kirchenraum hin durch eine Balustrade abschließen. Bereits am 23. Juni traf er deshalb in Kalkgrün (Gruna) bei Wildenfels ein und schloss die notwendigen Steinmetzarbeiten vor Ort schon vor dem 17. November desselben Jahres ab. Obwohl der Kurfürst dem Domkapitel Kalkstein und Marmor für den Altarraum kostenlos zur Verfügung gestellt hatte, mussten sowohl die bei der Bearbeitung entstandenen zusätzlichen Lohn- und Schneidekosten als auch die für den Transport nach Bautzen von der katholischen Kirche selbst übernommen werden. Da die Arbeiter in den Brüchen und in der Wildenfelser Schneide- und Poliermühle von dem seit September 1700 amtierenden Marmorinspektor Johann Zellmann aus Rochlitz (gest. 1720) zunächst selbst bezahlt werden mussten, fragte dieser in zwei an den Kurfürsten in Dresden gerichteten Schreiben vom Oktober und November 1703 um Instruktionen an, ob er den Abtransport der von Fossati bereits fertig bearbeiteten Stücke nach Bautzen genehmigen dürfe. Vielleicht hat in diesem Vorgang auch die vorangegangene Konkurrenz zwischen Zellmann und Fossati um das Amt des Marmorinspektors eine Rolle gespielt. Die Antwort aus Dresden ist nicht überliefert. Interessant sind die beiden Briefe von Zellmann an den Kurfürsten hier vor allem deshalb, weil ihnen jeweils eine ausführliche „Spezification“ beigelegt ist, aus denen hervorgeht, dass der für den Altarraum und die Altarschranken verwendete Kalkstein tatsächlich aus den Wildenfelser Brüchen stammte, während der Marmor für die weißen Bodenplatten aus Crottendorf kam. Wohl wegen der Kürze der Zeit wurde überwiegend auf bereits gebrochenes Material zurückgegriffen, das dann vor Ort in Wildenfels weiter bearbeitet wurde. Die dem ersten Schreiben beigefügte Spezifikation benennt die Brüche und Lager, aus denen die Rohstücke an Fossati übergeben wurden. Die zweite Liste enthält eine Beschreibung der für den Fußboden und die Altarschranken fertiggestellten Teile. Daraus ist ersichtlich, dass die Platten für den Boden aus weißem Crottendorfer Marmor und schwarzem Kalkstein aus Wildenfels gefertigt wurden, während für die Randbereiche des Bodenbelages der rote Knollenkalk zum Einsatz kam. Für die Stufen und die Balustraden wurde wiederum schwarzer Wildenfelser Kalkstein ausgewählt. Bis auf den Ersatz einiger schwarzer Fußbodenplatten durch Stücke aus einem hellgrauen Marmor oder Kalkstein hat sich diese ursprüngliche Situation im Bautzener Dom bis heute im Wesentlichen erhalten (Abb.
Der ebenfalls von Fossati geschaffene Bornsche Altar in der Leipziger Thomaskirche auf einer Darstellung des 19. Jahrhunderts (vor 1887; Abbildung: Commons, wikimedia.org; © SchiDD)
Figure 6. The Born altar in the Thomaskirche Leipzig, also build under direction by Fossati, on a picture from the 19th Century (before 1887; figure: Commons, wikimedia.org; © SchiDD)
Bautzner Dom, Blick in das Presbyterium vor dem katholischen Hohen Altar. Der Umgang im Kirchenraum ist mit Platten aus Lausitzer Granit ausgelegt. Die Treppenstufen, Brüstungen und originalen dunklen Bodenplatten bestehen aus schwarzem Wildenfelser Kalkstein. Ganz rechts die rotgefleckte Kalksteinplatte, die dem Postament am Durchgang vorgeblendet wurde (Foto: Ulf Kempe).
Figure 7. Bautzen cathedral, the sanctuary in front of the catholic high altar. The gallery in the foreground is paved with plates of Lausitz granite. Steps and the balustrade as well as the dark paving are made of black Wildenfels limestone. The plate of limestone with red patches placed in front of a pedestal at the entry to the sanctuary is visible at the far right (Photo: Ulf Kempe).
An einigen Stellen wurden die Bodenplatten im Raum vor dem Altar aus schwarzem Wildenfelser Kalkstein durch einen grauen Kalkstein oder Marmor ersetzt (Foto: Ulf Kempe).
Figure 8. At some places, the paving of the sanctuary of black Wildenfels limestone was replaced by a greyish limestone or marble (Photo: Ulf Kempe).
Bautzener Dom. Von den vier den Postamenten der Altarschranken vorgeblendeten Platten besteht nur eine aus rotgeflecktem Kalkstein, die anderen drei sind aus rotem Knollenkalk, wahrscheinlich als Parallelschnitte von einem Ausgangsstück, gefertigt worden. Zwei-Cent-Münze als Maßstab (Fotos: Ulf Kempe).
Figure 9. Bautzen cathedral. Only one out of four pedestals of the balustrade marking the border of the sanctuary is set with a plate of limestone with red patches. The other three consist of red nodular limestone and are probably cut from one larger piece. Two-cent coin for scale (Photos: Ulf Kempe).
In den erhaltenen Akten und in der historischen Literatur wird gewöhnlich nur zwischen „schwarzen“ und „rothen“ Brüchen und entsprechend zwischen „schwarzem“ und „rothem“ Wildenfelser Kalkstein unterschieden. Diese Gesteine konnten zur Herstellung größerer Werkstücke bis hin zu Treppenstufen und ganzen Säulen verwendet werden. Die entsprechende Nutzung in der Innenarchitektur von Kirchen und Schlössern hat seit der Erschließung durch Nosseni sowohl Blütezeiten als auch Krisen erlebt. Die Perioden des Niedergangs wurden durch die zahlreichen Kriege ausgelöst, in deren Folge der Abbau über Jahre oder Jahrzehnte vollständig zum Erliegen kam. Um die Gewinnung wieder in Gang zu bringen, wurden sowohl nach dem Dreißigjährigen als auch nach dem Nordischen und dem Siebenjährigen Krieg Bevollmächtigte von Dresden aus nach Westsachsen geschickt, um die Situation vor Ort zu überprüfen und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. So suchte der Oberlandbaumeister Wolfgang Kaspar von Klengel (1630–1691) im September 1659 die erzgebirgischen Brüche bei Zöblitz (Serpentinit), Wiesenbad (Amethyst und Quarz), Schwarzenberg (Marmor), Crottendorf (Marmor) und Wildenfels auf. Die während seiner Reise gemachten Beobachtungen schilderte er in einem detaillierten Bericht an den Kurfürsten (
Bei einer Revisionsreise nach dem Nordischen Krieg im August 1731 durch den Berg- und Münzsekretär Christoph Gottlob Lichtwer (1675–1736), die ebenfalls den sächsischen „Edelgestein- und Marmorbrüchen“ galt, wurden auch die Wildenfelser Brüche erneut besichtigt. Im Bericht von Lichtwer taucht die rotfleckige Kalksteinsorte neben den schwarzen und roten „Marmorarten“ jedoch nicht auf (
Historische Darstellung von drei im Kurfürstlichen Roten Bruch bei Wildenfels vorkommenden Kalksteinsorten (links: roter Knollenkalk, rechts: „taubenblauer“ Kalkstein, Mitte: rotgefleckter Kalkstein). Aus dem Bericht von Landbaumeister Exner von 1767 „Nachricht wegen der Marmorbrüche“ (Fotos: Martin Wagner).
Figure 10. Historical illustration of three varieties of limestone from the “Electoral red quarry” near Wildenfels (left: red nodular limestone, right: greyish-blue limestone, centre: limestone with red patches). From the report by master builder Exner “News from the marble quarries” in 1767 (Photos: Martin Wagner).
Die geologischen Verhältnisse in diesem Teil der Kalksteinbrüche können anhand größerer Werksteine, wie sie bei der Gestaltung des katholischen Hohen Altars im Bautzener Dom verwendet wurden, nachvollzogen werden. Die Angaben in den Akten zur Herkunft der am Altaraufbau in Bautzen verwendeten Kalkstein- und Marmorsorten sind allerdings weniger eindeutig als für den Altarraum. Nach
Bei der Betrachtung des Bautzener Altars kann man feststellen, dass neben auswärtigen Kalkstein- und Marmorsorten auch Material aus den Wildenfelser Brüchen Verwendung gefunden hat. Sowohl der weiß geäderte schwarze Kalkstein als auch die roten Knollenkalke von Wildenfels wurden zum Beispiel in größerem Umfang für Simse und Rahmungen eingesetzt. Vier Platten, die den Altar an beiden Seiten pilasterartig zum Prozessionsumgang hin abschließen, bestehen aus taubenblauem Marmor, der stellenweise intensiv mit „roten Blutstropfen“ durchsetzt ist (Abb.
Links: Am Abschluss des Hohen Altars zum Chorumgang im Bautzener Dom wurden jeweils zwei größere Platten von rotgeflecktem grauen Kalkstein aus Wildenfels verwendet. Blick von Süden; Rechts: An der Oberkante (1) der jeweils unteren Platte ist der Übergang in den roten Knollenkalk (2) zu erkennen. Darunter folgt ein Bereich mit intensiver Häufung roter Flecken (3), daran anschließend eine Zone mit der typischen Ausbildung des rotgefleckten Kalksteines (4); Blick von Norden (Fotos: Ulf Kempe).
Figure 11. Left (view from the South): On the transition from the high altar to the gallery around the choir, four large plates of Wildenfels greyish limestone with red patches were used. Right (view from the North): On the upper borderline (1) of the lower plate the transition to the red nodular limestone (2) can be observed. Below, there is a region with a lot of red inclusions (3) which is followed by the typical variety of greyish limestone with red patches (4; photos: Ulf Kempe).
Weitere Belege für den „blutgefleckten Marmor“ aus den Wildenfelser Abbauen finden sich in den historischen Gesteinssammlungen in Freiberg und Dresden. Die Petrologische Sammlung der TU Bergakademie Freiberg verwahrt eine kleine Suite polierter Gesteinsproben von Wildenfelser Kalksteinen. Die sechs quadratischen, im Format 5 × 5 cm geschnittenen Platten sind auf den Rückseiten aufwendig mit plastischen Inschriften versehen worden und mit dem Namen „C. Gäbert“ signiert. Unter den Belegen befindet sich auch ein Stück des grauen, „mit Blut durchtränkten“ Kalksteins („No:4“; Abb. 12). Nach der Art der den Tafeln beigelegten Etiketten zu urteilen, gelangten die Stücke erst nach dem 1. Weltkrieg in die Freiberger Sammlung. Deutlich älter sind wohl die bereits in dem zwischen 1832 und 1846 angelegten Gössel-Katalog der Königlich-Kurfürstlichen Sammlungen erfassten Belege, die sich heute in den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden befinden. Aus einer ursprünglichen Suite „Sächsischer Marmore“ von 63 Wildenfelser und 10 vogtländischen Stücken, die in Form von etwa im Format 6 × 8 cm rechteckig geschnitten und einseitig polierten Tafeln gefertigt wurden, haben sich leider nur acht bis heute erhalten. Die gefasten Kanten auf den Rückseiten der Tafeln weisen auf eine ursprüngliche Präsentation der Sammlung in einer Art Setzkasten hin, bei der die Stücke zur näheren Betrachtung einzeln herausgenommen werden konnten. Unter den erhaltenen Belegen befindet sich unter der Nummer 19 (No:61 des Gösselkataloges) auch ein grauer Kalkstein mit roten Flecken (Abb.
Zwei Belege von Wildenfelser Kalkstein aus einer Suite von sechs Stücken in den Petrologischen Sammlungen der TU Bergakademie Freiberg. Links: roter Knollenkalk; Mitte und rechts: grauer Kalkstein mit roten Flecken (Vorder- und Rückseite, Rückseite signiert „C. Gäbert“). Inv.-Nrn. PeSa 9114 und PeSa 9112 (Fotos: Jan Biller).
Figure 12. Two samples of Wildenfels limestone from a suite of six stones preserved in the Petrological collections of the TU Bergakademie Freiberg. Left: red nodular limestone; centre and right: greyish limestone with red patches (front and back side; back side with signature “C. Gäbert”). Inventory numbers PeSa 9114 und PeSa 9112 (Photos: Jan Biller).
Rot gefleckter Kalkstein von Wildenfels aus einer Suite von ursprünglich 73 Stücken. Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden, Inv.-Nr. BD 403242 (Gösselkatalog Nr. 61; Foto: Ulf Kempe).
Figure 13. Wildefels limestone with red patches from a sample suite of originally 73 pieces. Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden, Inventory number BD 403242 (Gössel Catalogue Nr. 61; photo: Ulf Kempe).
In der kunsthistorischen Literatur trifft man des Öfteren auf fehlerhafte Angaben zur Herkunft der in sächsischen Schlössern und Kirchen verwendeten Dekorsteine. So wird für den Kalkstein am Altar der Lockwitzer Kirche eine Gewinnung aus den Maxener Brüchen oberhalb der Müglitz angegeben, was nicht nur der Ausbildung des Materials, sondern auch der frühen Entstehungszeit des Altars widerspricht (
Bei der Innenausstattung der katholischen Kapelle in Hubertusburg wurde überwiegend mit Stuckmarmor gearbeitet, so bei den Altären, der Kanzel und an den Wandflächen. Ein Teil des Taufbeckens, die Treppen und der Fußboden des Altarraums sowie die Postamente und Abdeckplatten der Balustraden, die die Altarschranken bilden, bestehen jedoch aus Kalkstein und Marmor. Die Treppen, Teile der Sockelzone des Presbyteriums und wahrscheinlich ursprünglich alle dunklen Platten des auch hier schachbrettartig gestalteten Fußbodens bestehen aus Maxener Kalkstein (Abb.
Schlosskapelle Hubertusburg bei Wermsdorf. Die Stufen und die Sockelzone des Presbyteriums bestehen aus Maxener Kalkstein („Maxener Marmor“). Im Hintergrund ein Eckpostament der Altarschranken aus rotgeflecktem Wildenfelser Kalkstein (Foto: Ulf Kempe).
Figure 14. Chapel in Hubertusburg Castle near Wermsdorf. The steps and the base of the sanctuary are made of Maxen limestone (“Maxen marble”). In the background a corner pedestal of Wildenfels limestone with red patches (Photo: Ulf Kempe).
Schlosskapelle Hubertusburg bei Wermsdorf. Die Deckplatten und Vorderseiten der Postamente der Altarschranken sind aus rotgeflecktem Wildenfelser Kalkstein gefertigt worden (Foto: Ulf Kempe).
Figure 15. Chapel in Hubertusburg Castle near Wermsdorf. The balustrade of the sanctuary consists of Wildenfels limestone with red patches (Photo: Ulf Kempe).
Eine weitere Verwendung desselben Gesteins lässt sich ebenfalls in sakralem Kontext im Freiberger Dom nachweisen. Wie bei den durch Fossati gestalteten Altären in Leipzig und Bautzen stiftete August der Starke 1705 seiner Mutter, der aus dem dänischen Königshaus stammenden Kurfürstin Anna Sophia (1647–1717), Wildenfelser Kalkstein „zu einem Epitaph und Begräbnis“ (
Die Schwesterngruft im Freiberger Dom (Gesamtansicht; Foto: Commons, wikimedia.org; © Volkmar Rudolf).
Figure 16. “Sister crypt” in the Freiberg cathedral (general view; photo: Commons, wikimedia.org; © Volkmar Rudolf).
Der Wiederaufbau der Begräbnisstätte aus Prettin im Dom von Freiberg erfolgte nur fragmentarisch als klassizistische Portalmaske mit dahinter aufgestellten Sarkophagen. Die Postamente aus schwarzem Wildenfelser Kalkstein unter den beiden flankierenden Marmorskulpturen werden an den Vorderseiten durch je eine Platte blaugrauen Kalksteins mit roten Flecken und grünlichen Adern geschmückt (Abb.
Schwesterngruft im Freiberger Dom. Dem aus schwarzem Wildenfelser Kalkstein bestehenden Sockel unter der Figur der Abundantia ist eine Platte aus rotgeflecktem Wildenfelser Kalkstein vorgeblendet. Am Fuß der Statue ist die Signatur von Balthasar Permoser zu erkennen (Foto: Ulf Kempe).
Figure 17. “Sister crypt” in the Freiberg cathedral. The pedestal made of black Wildenfels limestone below the sculpture of Abundantia is set with a plate of patchy red Wildenfels limestone. On the foot of the sculpture the signature by Balthasar Permoser is visible (Photo: Ulf Kempe).
In allen drei Kirchen in Bautzen, Hubertusburg und Prettin wurde der Wildenfelser rotgefleckte „Marmor“ gezielt und in geringem Umfang als dekoratives Element im Zugangsbereich zu den Altären bzw. zur Begräbnisgruft verwendet. Besonders augenfällig ist dies im Falle des Presbyteriums im Bautzener Dom. Obwohl sich die einzige Platte aus „blutgeflecktem Marmor“ an der Schauseite eines Postaments der Altarschranken deutlich von den roten Kalksteinplatten der anderen drei Postamente unterscheidet, wurde sie nicht in eine seitliche Position aus dem Blickfeld gerückt, sondern gut sichtbar direkt rechts neben dem Aufgang zum Altarraum angebracht (Abb.
Eine ganz ähnliche Verwendung von rotfleckigem Kalkstein lässt sich zeitgleich in den Spätwerken von Balthasar Permoser beobachten. Zwischen 1721 und 1728 gestaltete der Künstler aus dem rotgefleckten heimatlichen sogenannten Plassenkalk vom Untersberg bei Salzburg drei Figuren des blutüberströmten Christus am Marterpfahl, von denen zwei heute in der Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden aufbewahrt sind (Inv.-Nrn. ZV 4090 und ZV 4179). Die eindringliche Wirkung dieser Werke beruht zu einem nicht unwesentlichen Teil auf der bewussten Ausnutzung der auffälligen rot gefleckten Ausbildung des Unterberger Kalksteins.
Wenden wir uns nun wieder Köhlers Schwedischem Grenadier zu (Abb.
Eine ganz ähnliche Farbensymbolik zeigt ein Bildreliquiar im Stadtmuseum Bautzen, das stilistisch in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts datiert wird (Inv.-Nr. R 16457, erworben zwischen 1868 und 1910). Um ein zentrales Wachsbildnis der Maria waren ursprünglich fünf Knochenreliquien angeordnet, flankiert von drei Steinen in zimtbrauner Farbe. In die vier Ecken des Rahmens ist je ein smaragdgrüner Stein gesetzt. An dem Bautzener Reliquiar wurden runde Glassteine statt „echter“ Edelsteine verwendet, eine häufige Praxis in der sakralen Kunst jener Zeit (vgl. z. B.
Wie es scheint, konnte im 18. Jahrhundert ein Edelsteinbesatz aus rotbraunen und hellgrünen Steinen an Schatzkammerobjekten dieselbe Botschaft vermitteln, wie die beiden großen Permoserfiguren der Buße und des Glaubens über dem Eingang in die Schwesterngruft im Freiberger Dom. Leider sind derartige Sinnzusammenhänge heute nur noch schwer nachvollziehbar, da sich die Seh-, Denk- und Betrachtungsgewohnheiten in der heutigen Zeit im Vergleich zum 18. Jahrhundert zum Teil grundlegend verändert haben.
Für die vielseitige Unterstützung bei den Untersuchungen an der Perlfigur des „Schwedischen Grenadiers“ dankt der Autor den Restauratoren des Grünen Gewölbes Michael Wagner und Dr. Rainer Richter. Für Recherchen in den Petrologischen Sammlungen der TU Bergakademie Freiberg und zur Verfügung gestellte Fotos geht der Dank an Kustodin Dr. Christin Kehrer. Bei den Untersuchungen in den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen wurde der Autor von Prof. Jan-Michael Lange und Jana Wazeck unterstützt. Beiden sei dafür ebenfalls herzlich gedankt. Bei der Beschaffung von Archivmaterial half schnell, freundlich und unkompliziert Martin Wagner. Zusätzliche Auskünfte zum Bildreliquiar im Museum Bautzen gab dankenswerter Weise Hagen Schulz.
(1) Domstiftsarchiv Bautzen (DstA Bautzen) Loc. 0073 Die Ausstattung von St. Petri mit Altar, Gemälden und Pflaster betr. (1603–1723).
(2) Hauptstaatsarchiv Dresden (HStA Dresden) 10009 Kunstkammer, Sammlungen und Galerien, Nr. 30, Pretioseneninventar des Grünen Gewölbes von 1725, fol 6v–7r.
(3) Hauptstaatsarchiv Dresden (HStA Dresden) 10036 Finanzarchiv, Loc. 34975, Rep. 02, Gen. 65/1702, Nr. 1318 und 1413.
(4) Hauptstaatsarchiv Dresden (HStA Dresden) 10036 Fianzarchiv, Loc. 35776, Rep. 8, Gen. 229, Nr. 229 „Nachricht wegen der Marmor-Brüche“.
(5) Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB) Mscr.Dresd.a.22.b „Revision derer Edelgestein- und Marmorbrüche, so auff S. ChurFürstl. Durchl. Johann Georg der Andern Befehl geschehen. Im Jahr Christi 1659 … überreicht von Oberlandbaumeister“ [Wolf Kaspar von Klengel]